Definition

Bei der Harnableitung über einen Kolonkonduit wird der Urin über ein körpereigenes Stück Dickdarm (= Kolonsegment) durch eine Öffnung in der Haut nach außen (Stoma) in einen (jeweils einmal verwendeten) Beutel übergeleitet, der an einer Haut-Klebeplatte befestigt wird. Durch dieses Stoma fließt der Urin ständig ab (deshalb: „inkontinentes“ oder „nasses“ Stoma).

Indikationen

Eine künstliche Harnableitung über einen Kolonkonduit ist angezeigt

  • bei drohender oder bereits eingetretener Schädigung der Nieren und/oder der Harnleiter trotz maximaler konservativer Therapie (regelmäßiger Katheterentleerung, Einnahme/Unverträglichkeit von Anticholinergika, Infektionsprophylaxe usw.)
  • bei belastender Inkontinenz (wie ständiges Harnträufeln, gehäufte Hautprobleme, Infektionen, Geruchsbehinderung, erhebliche pflegerische Belastung u.a.
  • wenn eine Katheterentleerung der Harnblase nicht oder nur mit Schwierigkeiten möglich ist:
    z.B. bei nicht oder schwer erreichbarer Lage der äußeren Harnröhrenöffnung (bei stärkerer Beckenkippung nach vorne), bei Abspreizhemmung der Beine in den Hüften, Störungen der
    Feinmotorik, nicht ausreichender Verlässlichkeit und Mitarbeit bei der notwendigen Blasenentleerung, usw.
  • wenn andere Formen von Harnableitungen (z.B. über ein Nabelstoma, vgl. MAINZ-Pouch) nicht oder noch nicht möglich sind
  • auf Wunsch des Patienten.

Voraussetzungen zum Anlegen eines Kolonkonduits

Anatomische Voraussetzungen

Das Stoma muss vom Patienten mit den Händen erreichbar sein, um ein regelmäßig notwendiges Wechseln des Beutels bzw. der Klebeplatte selbstständig zu gewährleisten. Der Wechsel kann aber auch durch Angehörige, bzw. durch Pflegepersonal erfolgen, was allerdings die Pflegeabhängigkeit erhöht.
Es dürfen keine Bauchhautfalten im Stehen, Sitzen oder Liegen im Bereich der äußeren Konduitöffnung (Stoma) liegen, weil sonst die Versorgung mit einer Klebeplatte/Beutelversorgung schwierig sein kann und weil sich die Klebeplatte vorzeitig lösen und es zu nicht gewolltem Urinverlust neben der Platte kommen kann.
Deshalb erfolgt vor der Operation die exakte Einzeichnung der späteren Position des Stomas.

Alter bei der Operation

Prinzipiell kann der Kolonkonduit als vorübergehende, aber auch endgültige Harnableitung in jedem Lebensalter zu jedem Zeitpunkt angelegt werden.

Umwandlung

Eine Umwandlung (Konversion) des Kolonkonduits in eine andere Form der Harnableitung (z.B. in einen MAINZ-Pouch) ist meist möglich.

Mitarbeit

Patienten bzw. deren Angehörige sollten eine genaue Kenntnis der Komplikationen und der notwendigen lebenslangen Kontrolluntersuchungen (s.u.) haben. Selbstständiges Wechseln der Klebeplatte und des Beutels sollte (zumindest ab dem späten Kindesalter) möglich sein.

Nierenfunktion

Ein Kolonkonduit kann auch bei eingeschränkter Nierenfunktion angelegt werden. Teilweise verbessert sich die Nierenfunktion wieder bzw. bleibt stabil. Die Anlage kann auch im Rahmen einer Nierentransplantation erfolgen.

Vorteile

  • Schutz der Nierenfunktion.
  • Kein Rückfluss von Urin in die Niere
  • Der Urin wird durch das verwendete Darmsegment aktiv nach außen transportiert, h. es erfolgt keine Speicherung von Urin, womit Infektionen im Konduit vermieden werden.
  • Ungehinderter Urinabfluss in den Beutel, ohne dass die Kleider nass werden.
  • Keine Einschränkung von privaten, beruflichen, gesellschaftlichen oder sportlichen Aktivitäte
  • Bei sorgfältiger Pflege und regelmäßigem Wechsel der Einmalbeutel: Keine (oder nur geringe) Geruchsentwicklung.

Nachteile

  • Eine regelmäßige Entleerung des Urinauffangbeutels ist erforderlich. Unterbleibt die Entleerung, löst sich die Haut-Klebeplatte, an der der Beutel befestigt ist, und es kommt zu unwillkürlichem Austritt von Urin mit Geruchsbehinderun
  • Im Abstand von 1-3 Tagen muss (je nach Hauttyp) die Haut-Klebeplatte erneuert werden.
  • Wegen des ständig abfließenden Urins (= inkontinente Harnableitung) muss ein nach außen mehr oder weniger sichtbarer Beutel getragen werden. Dieser Nachteil kann durch entsprechende Kleidung vollständig ausgeglichen werde
  • Durchfälle: Durch die Ausschaltung des Darmsegmentes können nach der Operation für die Dauer von Wochen oder Monaten dünne Stühle auftreten, die im Allgemeinen durch diätetische und medikamentöse Behandlung (Loperamid, Cholestyramin) beherrscht werden könne

Ambulante Vorbereitungen

Untersuchung der Nieren und Harnwege
Ultraschall:
Nierengröße, narbige Veränderungen an den Nieren (Parenchymnarben), Erweiterung der Harnleiter und Nierenbecken/-Kelche, Blasenwanddicke, Restharn.
Urogramm: anatomische Abbildung der harnableitenden Wege mit Beurteilung der Nieren, des Verlaufes und der Weite der Harnleiter.
Seitengetrennte Clearance (vorzugsweise MAG III Clearance): seitengetrennte Beurteilung der Nierenfunktion und des Harnabflusses aus den Nieren.
Blutuntersuchungen: “Harnpflichtige Substanzen” zur Beurteilung der Nierenfunktion. Blutbild. Ausschluss einer bestehenden Infektion.
Urodynamik: Blasengröße, Überlaufdruck (Leak-point-pressure) usw., Informationen über die Funktionen von Blasenhohlmuskel und Harnblasenverschluss sowie über deren Zusammenspiel. Nach Vorliegen aller Ergebnisse wird die Harnumleitung erneut diskutiert.
Eine Kontaktaufnahme mit Konduit-Trägern sollte nicht versäumt werden, um deren persönliche Erfahrungen kennen zu lernen.
Bluttransfusion: Eine Fremdblutgabe ist in den allermeisten Fällen nicht erforderlich, jedoch werden sicherheitshalber Blutkonserven bereitgestellt. Die wenn auch sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer Fremdblutgabe sollte mit den Patienten und deren Eltern besprochen werden.

Stationäre Vorbereitungen

  • Es erfolgt eine ausführliche Aufklärung über die Operation und ihre Folgen durch den/die Urologen/in und eine/n Stomatherapeuten/in sowie
  • eine ausführliche Aufklärung über die Narkose und postoperative Schmerztherapie durch den/die Narkosearzt/-ärztin.
  • Der Dickdarm wird durch einen sog. wässriger Kolon-Kontrasteinlauf dargestellt, um die Länge des zur Verfügung stehenden Darmsegmentes zu beurteilen und um krankhafte Darmveränderungen auszuschließen
  • Der Darm wird mit 3-4 Liter Golytely Lösung (Klean-Prep ®) über 2 Tage gespült. Innerhalb dieser Zeit erfolgt auch die Durchführung des Kolon-Kontrasteinlaufes (d.h. eine zusätzliche Darmspülung ist nicht erforderlich!).

Anlegen eines Stomas

Die optimale Lage des Stomas muss vor dem Anlegen des Stomas genau ermittelt und auf der Bauchdecke eingezeichnet werden.
Das Stoma muss

  • im Hautniveau – eher etwas darüber – liegen,
  • darf nicht in einer Bauchhautfalte versteckt sein, weil sonst Hautkomplikationen zu erwarten sind und die Haftfähigkeit der Klebebandage beeinträchtigt ist,
  • im Sitzen gut einsehbar und erreichbar sein, um dem Patienten die selbstständige Hautreinigung und Pflege zu ermöglichen.

Dauer des stationären Aufenthaltes

Zur Vorbereitung der Operation werden ca. 3 Arbeitstage benötigt (z.B. Montag kommen, Donnerstag OP). Nach der Operation ist in der Regel ein zweiwöchiger stationärer Aufenthalt erforderlich.

Operation

Der Eingriff erfolgt latexfrei. Die Operationsdauer für die Anlage des Kolonkonduits beträgt ca. 2-3 Stunden – abhängig von den Voroperationen und den anatomischen Verhältnissen.

Operationsverlauf

Nach einer Eröffnung des Bauches in der Mittellinie (mediane Laparotomie) und einem Einschnitt neben dem Kolon (parakolische Inzision) werden ca. 12-15 cm des Dickdarmanteiles (Sigma) aus der Darmkontinuität ausgeschaltet und die Harnleiter (Ureteren) mittels eines 3-4 cm langen Tunnels unter der Darmschleimhaut (submuköser Tunnel) im hinteren Anteil des Sigma-Darmstückes so eingepflanzt, dass ein Rückfluss (Reflux) von Urin nicht möglich ist (antirefluxive Implantation). Die Hautöffnung, über die der Urin abfließt (Stoma), wird so an der markierten Stelle angelegt, dass sich die Darmschleimhaut etwas nach außen vorstülpt.

Nach der Operation

Neben 1-2 Wunddrainagen (Ausnahme bei Patienten mit VP-Shunt: hier keine Drainage wg. Infektionsgefahr) werden die Harnleiter für 11-12 Tage geschient. Nach der Entfernung der Splints erfolgt die Darstellung der harnableitenden Wege mittels Ultraschall oder einer Röntgenuntersuchung (i.v. Pyelogramm).

Dauer der Arbeitsunfähigkeit

Man kann im Allgemeinen von einer 6-8-wöchigen Arbeitsunfähigkeit ausgehen, die sich zusammensetzt aus:
1 Woche Vorbereitung,
2 Wochen postoperativer stationärer Aufenthalt,
3 Wochen Wiedererreichen der vor der Operation bestehenden körperlichen Kondition, ggf. zwei Wochen zur weiteren Erholung.

Mögliche Konduit-bedingte Komplikationen

Verengung der äußeren Öffnung (Stomastenose)

In ca. 10 – 15% der Fälle kann es zu einer Verengung am Stomaeingang (d.h. Übergang von Haut zur Schleimhaut) kommen. Wenn das Stoma nicht mehr für den kleinen Finger durchgängig ist und es ggf. sogar zu einem Aufstau des Urins kommt, sollte eine operative Erweiterung (kleiner operativer Eingriff) durchgeführt werden.

Verengung des Harnleiters

Insbesondere bei vor der Operation krankhaft veränderten Harnleitern kann es zu einer Verengung an der Stelle am Konduit kommen, an der der Harnleiter in den Konduit eintritt. Kommt es hierdurch zu einer Abflussbehinderung des Urins oder einem Rückstau in die Nieren, so wird der Harnleiter (Ureter) operativ neu einsetzt.

Symptomfreie Urininfektionen

Da beim Kolonkonduit Dickdarm verwendet wurde, kann man bei der Urinuntersuchung die physiologische Darmflora nachweisen.

Mögliche Ursachen:
Normale Keimbesiedlung
Durch die Lage des Stomas in der Haut ist eine Keimbesiedlung des Stomas und des sich anschließenden Darmstückes normal und für den Gesamtverlauf unerheblich. In der Tiefe des Konduits ist der Urin normalerweise nicht infiziert. Deshalb muss zur Urinuntersuchung stets Urin mit einem Katheter aus der Tiefe des Konduits gewonnen werden. Abgestandener, aus einem Klebebeutel gewonnener Urin ist zu einer Urinuntersuchung nicht geeignet.
Krankhafte Keimbesiedlung
Ein krankhafte und damit behandlungsbedürftige Keimbesiedlung kann entstehen durch a) Abflussbehinderung des Urins durch eine Verlegung des Stomas in einer Bauchhautfalte, b) eine Verengung des Stomas (Stomastenose); das Stoma sollte für einen Kleinfinger eingängig sein). Durch eine Abflussbehinderung sammelt sich infizierter Urin im Konduit und es entsteht ein abnorm hoher Druck, der die Entwicklung eines Rückflusses (Refluxes) von Harn in die Nieren begünstigt; deshalb sind alle Formen der Abflussbehinderung therapiebedürftig.

Gefährdung der Nieren

Eine Gefährdung der Nieren durch Infektion ist nur zu erwarten, wenn ein Rückfluss (Reflux) von Urin besteht; bei bestehendem Reflux (zu ermitteln / auszuschließen durch eine Konduitfüllung) ist eine antiinfektiöse Dauerprophylaxe angezeigt.

Durchfälle

Durch die Ausschaltung des Darmsegmentes können nach der Operation für die Dauer von Wochen oder Monaten dünne Stühle auftreten. Im Allgemeinen kann dies durch diätetische und medikamentöse Behandlung (Loperamid, Cholestyramin) beherrscht werden.

Übersäuerung des Blutes (Azidose)

Das zur Bildung des Konduits verwendete Darmsegment behält seine physiologischen Fähigkeiten, z.B. Elektrolyte auszuscheiden (sezernieren) und wieder aus dem Darm aufzunehmen (resorbieren) bei. In seltenen Fällen kann es zu einer Übersäuerung des Blutes kommen (sog. metabolische hyperchlorämische Azidose). Deshalb ist eine regelmäßige Kontrolle des Säure-Basen-Haushaltes erforderlich. Hierzu genügt es, kapilläres Blut (z.B. aus dem Ohrläppchen) zu untersuchen. Liegt die Säuerung des Blutes (gemessen mit dem sog. Base-Excess (BE)) unter –2.5, sollte die Übersäuerung vorsorglich (prophylaktisch) ausgeglichen werden. Dies erfolgt durch die Einnahmevon alkalisierenden Substanzen wie z.B. Kalium-Natrium-Hydrogen-Citrat, Uralyt U ®, Blemaren ® und/oder frischen Zitronensaft. Bei ca. 50% der Patienten ist eine vorbeugende Behandlung empfehlenswert. Da beim Kolonkonduit nur ein kleines Stück Darm verwendet wird, brauchen nur sehr wenige Patienten (meist mit erheblich eingeschränkter Nierenfunktion) einen vorbeugenden Ausgleich. Durch eine chronische, vom Patienten nicht bemerkte Übersäuerung des Blutes kann es zu einer Verminderung der Knochendichte (Osteomalazie bei Kindern, Osteoporose bei Erwachsenen) kommen. Durch den vorbeugenden Ausgleich ab einem BE ab –2.5 kann diese Komplikation verhindert werden.

Sekundäre bösartige Neubildungen (Malignome)

Bei allen Formen der Harnableitung, bei denen Darmsegmente verwendet werden, besteht (nach der Literatur) das Risiko (von weniger als 5 %) einer bösartigen Tumorbildung, insbesondere an der Stelle, wo Darmschleimhaut und die Schleimhaut der Harnwege (Urothelschleimhaut), z.B. an der Einpflanzungsstelle der Harnleiter, aufeinander treffen. Der Zeitraum (Latenzzeit) beträgt mindestens 10 Jahre, bis eine solche Komplikation auftreten kann. Bisher haben wir bei keinem Patienten mit einem Kolonkonduit einen Tumor beobachtet. Regelmäßige Spiegelungen des Konduits im Jahresabstand sollten trotzdem ab dem fünften postoperativen Jahr durchgeführt werden, um eventuelle Veränderungen im Bereich der Kontaktstelle frühzeitig zu entdecken und zu entfernen.

Überwachung

(vgl. hierzu die ausführliche Anleitung: Kolonkonduit – Nachsorge, Überwachung).
Die Häufigkeit der (üblichen) urologischen Überwachung ändert sich auch nach Anlegen eines Kolonkonduits nicht wesentlich.

Weite des Stomas

Das Stoma sollte für die Kuppe des Kleinfingers eingängig sein. Verengungen des Stomas behindern das freie Abfließen des Urins (Folgen: Harnrückstau, Auftreten von Harnwegsinfektionen) bzw. den Stuhlgang. Ein zu enges Stoma muss in der Regel chirurgisch erweitert werden. Eine künstliche Aufdehnung (Bougieren) kann zu kleinen Einrissen mit nachfolgender Vernarbung führen, die die Verengung verstärken.

Urinuntersuchung s.o.

Ultraschalluntersuchungen der Nieren

zum Ausschluss einer Abflussbehinderung des Urins: Nach der Operation in 3-monatigen Abständen, bei gleich bleibenden Befunden 1/2 jährlich und ab dem 5. postoperativen Jahr jährlich.

Blutuntersuchungen

  • Kontrolle des Säure-Basen-Haushaltes: in ähnlichen Abständen wie die Ultraschallkontrollen. Falls auffällige Befunde (BE < -2.5): vorbeugender Stoffwechselausgleich und engmaschige Kontrollen. Später kann bei den meisten Patienten auf eine vorbeugende Gabe von Medikamenten verzichtet werden, d.h. der Körper passt sich dem Konduit an.
  • Jährliche Kontrolle der Nierenwerte (Kreatinin).

Spiegelung des Konduits

Nach dem 5. postoperativen Jahr ist jährlich eine Spiegelung vorzusehen, um krankhafte Gewebswucherungen auszuschließen.

Bei Fragen/Problemen mit dem Konduit

steht Ihnen jederzeit ein(e) fachkompetente(r) Arzt/Ärztin oder ein(e) Stomatherapeut/in in derUrologischen Klinik Mainz (Tel.: 06131-171, mit der Urologie bzw. einem diensthabenden Arzt verbinden lassen) oder ein(e) Arzt/Ärztin bzw. Therapeut(in) der Spina bifida-Ambulanz (Tel.: 06131-370) zur Verfügung.